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Einführung in die Ausstellung "Der Anfang war die Form" am 21.07.2005 in Ladenburg

Prof. Hans Gercke, Direktor des Heidelberger Kunstvereins


Meine Damen und Herren,

wir sind es gewohnt, Kunst nach bestimmten Kriterien zu sortieren, Stile und Epochen nach formalen Aspekten zu bestimmen – Sie kennen das: rund ist romanisch, spitz gotisch, geschwungen barock usw.

Die Wirklichkeit ist freilich komplexer, aber hilfreich ist dieses Verfahren, das sich ja durch Detailkenntnisse vervollkommnen lässt, durchaus – im Grunde vergleichbar der Methode, mit der naturinteressierte Zeitgenossen Vögel, Bäume oder Blumen „bestimmen“.

In der Gegenwartskunst ist es schwieriger, solche Kriterien dingfest zu machen, aber so etwas wie „Markenzeichen“ – in der Werbung spricht man von „ci“, „corporate identity“, gibt es durchaus: Uecker ist der mit den Nägeln, Fontana der mit den Schlitzen und Löchern in der Leinwand, Yves Klein der mit der blauen Farbe, Horst Antes der mit den Kopffüßlern, Hans-Peter Reuter der mit den Kacheln usw.

Zeitweise werden diese Markenzeichen geradezu eifersüchtig gehütet: Wehe, wenn es ein Künstler wagt, auf dem Terrain eines Konkurrenten zu „wildern“. Jüngere Künstlerinnen und Künstler sehen dies in aller Regel weniger eng. Bei ihnen hat man, ganz im Gegenteil, mitunter den Eindruck, sie tanzten auf allen erdenklichen Hochzeiten, bedienten sich ungeniert hier und dort, ohne je eine eigene, unverwechselbare Handschrift auszubilden.

Schaut man jedoch genauer hin, so entdeckt man dann doch zumeist, zumindest bei den wirklich ernstzunehmenden, dass hinter der chamaeleonhaft schillernden Fassade durchaus ein eigenes, unverwechselbares Konzept, eine eigene Handschrift, sichtbar wird. Das Vorbild solcher Künstler ist Gerhard Richter, eine der ganz großen Koryphäen der Gegenwartskunst, dessen technisch perfekte Malerei sich aller erdenklichen Stilmittel bedient, und dem man daher oft genug hemmungslosen Eklektizismus vorgeworfen hat.

Gleichwohl – auch bei Richter gibt es ein Konzept, eine „Handschrift“, die seine Malerei unverwechselbar macht: Nämlich das Konzept, die gesamte Bandbreite malerischer Möglichkeiten auszuspielen, was er in der Tat bravourös leistet. Allerdings mischt Richter niemals die verschiedenen Stile in seinen Arbeiten miteinander – streng separiert er seine unterschiedlichen Werkgruppen. Es blieb jüngeren Künstlern vorbehalten – hier ist insbesondere die aktuell boomende „Leipziger Schule“ zu nennen – gleichermaßen virtuos wie kalkuliert mit Stilbrüchen zu jonglieren und das bahnbrechende Prinzip der Collage nun auch auf die Kombination unterschiedlicher malerischer Modi anzuwenden.

All dies ist nun freilich etwas völlig anderes als das, was man leider auch immer wieder, nur allzu oft, beobachten kann: Dass Künstler ungemein begabt sind, technisch versiert, aller Techniken und Stile mächtig, dass ihnen durchaus auch dies oder jenes einfällt, dass sie aber von nichts wirklich entflammt sind, und dass daher alles, was sie in Angriff nehmen, Oberfläche bleibt und Willkür, gefällig vielleicht, gut und originell, aber, um es unverblümt zu sagen, letztlich überflüssig.

Sie werden sich nun fragen, warum ich Ihnen dies alles erzähle, und was dies alles mit den Arbeiten von Janne Heisel zu tun hat.

Janne Heisel, Schülerin von Emil Schumacher und Fritz Klemm, hat von beiden Lehrern wesentliches übernommen, ohne aber dadurch zu einer epigonalen Abhängigkeit gekommen zu sein, sondern ganz im Gegenteil: Sie hat einen Weg gefunden, in dem sie Schumachers Methode, Farbe als Materie zu begreifen und Strukturen plastisch, haptisch, reliefhaft aufzubauen, ebenso individuell angewandt und umgesetzt hat wie Klemms Verweis auf die Wichtigkeit, sich nicht zu verzetteln, sondern zu konzentrieren, möglichst nur ein Thema zu bearbeiten, dieses dann aber um so intensiver und es von verschiedensten Perspektiven her zu beleuchten und auszuloten.

Ein solches Thema ist, seit den frühen 90er Jahren, für Janne Heisel, die Amphore – ein Thema, das natürlich hervorragend in die Römerstadt Ladenburg passt, wo ja bekanntlich bei jedem Spatenstich keramische Zeugen der Vergangenheit zum Vorschein kommen, Ziegel, Amphoren, Schalen, Krüge. Über Jahrtausende sind diese – auch wenn sie zerbrechen und nur noch in Scherben oder Resten vorliegen – letztlich unverletzbaren, in mehr oder weniger allen Kulturen vorhandenen Alltagsgegenstände die beinahe einzigen Zeugen einer kulturellen Entwicklung, vor deren Hintergrund der Zeitraum, den wir im engeren Sinn als Historie überblicken, entwaffnend und verschwindend klein anmutet, der jedoch den Urgrund ausmacht, aus dem unsere Gegenwart und unsere Existenz erwachsen sind.

Von menschlicher Hand wurden sie aus uralter, in Äonen entstandener und verwandelter geologischer Materie geformt, bringen, wenngleich funktional und zweckgebunden, doch immer wieder irgendwie das Abbild ihres Erzeugers ins Spiel, artikulieren und reflektieren menschliche Formen, anthropomorphe Gestalt sowie menschliche Existenz und Grunderfahrung, verbildlicht in den zeitlos alltäglichen Funktionen des Gebens und Nehmens, der Fülle und Leere, des Ein- und Ausatmens. Gefäße, aus Ton, aus Lehm gefertigt durch den formalen Druck der Hände: Das schöne biblische Bild kommt in den Sinn, dass Gott den Menschen aus Lehm geformt hat.

Janne Heisel reflektiert diesen Vorgang der Gestaltwerdung, wie er sich in der keramischen Technik vollzieht, in Medien der Malerei. Portugiesische Gefäße machten ihr erstmals die Analogie der Gefäße zur menschlichen Gestalt bewusst, die sich nicht allein im Vordergründigen, im Äußerlichen erschöpft. Und sie begann, sich für die Dynamik, die dem Gestaltungsprozess zugrunde liegt, zu interessieren, für die plastisch-haptischen Strukturen der getöpferten Oberfläche, für die Möglichkeit, deren Techniken ins Verfahren der Malerei zu übertragen, aber auch, die Spuren von Zeit und Gebrauch, die sich bei den uralten, aus der Erde geborgenen Gefäßen abzeichnen, in ihr malerisches Vokabular zu übersetzen, zum Teil realisiert in einer Art von monotypischer Abdrucktechnik, die die Oberfläche brüchig, rissig werden lässt, zeit- und erfahrungsträchtig. Das Gefäß wurde Janne Heisel zur Metapher für den Menschen – auf diese Weise entstanden Porträts, psychologische Studien, Familienbilder, Gruppenbilder.

Steinmehl wird der Farbe beigemischt, so den plastisch-haptisch-materiellen Charakter der Arbeiten verstärkend. Neuerdings allerdings ist eine Gegentendenz zu beobachten: Analytische Strukturen beschäftigen sich mit dem Querschnitt der Gefäßwände, umreißen als tiefschwarze Tusche-Kontur den Gefäßumriss, beschreiben das Spannungsverhältnis zwischen innen und außen, zwischen Leere und diese umgrenzender Materialität. Ostasiatische Einflüsse kommen zum Tragen, konkret angeregt durch die Ausstellung „Zeit der Morgenröte“ im Mannheimer Reismuseum, die der frühen japanischen Kultur, den Epochen Jômon und Yâyoi gewidmet war, und die einige von Ihnen ja vielleicht gesehen haben.

Keramik, sofern sie nicht bemalt oder mit speziellen, meist späten Glasurverfahren unterzogen wurde, bewegt sich in ihrer Farbigkeit normalerweise im irden-irdischen Bereich. Die Skala reicht von schwarz bis rot, über diverse Braun, Gelb- und Ockertöne.

Bei Janne Heisels Arbeiten fällt der Kontrast zwischen Materialität der Oberfläche und Immaterialität der Farbe auf. Immer wieder begegnet uns ein kühles Blau – Blau, die geheimnisvolle, rätselhafte, distanzschaffende Farbe, nicht nur Emil Schumachers, ihres Lehrers, Lieblingsfarbe. Es ist die Farbe der Ferne, die Farbe des Immateriellen, der Zeitlosigkeit, die Janne Heisel den meisten ihrer Arbeiten mitgibt, ein mehr oder weniger stark mit weiß untermischter Ton, Cyan, Pariserblau – eine Farbe, die Thema, Form und Material dieser Bilder gleichsam kontrapostisch konterkariert und ein Spannungsverhältnis herstellt zwischen Nähe und Ferne, zwischen Greifbarkeit, Unantastbarkeit und Unfassbarkeit.

So gelingt es der Künstlerin im vermeintlich Banalen, Alltäglichen, das Geheimnisvolle, Unbekannte, sichtbar zu machen.

Heidelberg, im Juli 2005
Hans Gercke

 
   
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